Christian Herwartz SJ

Zum Tod von Christian Herwartz SJ

P. Christian Herwartz SJ ist am Sonntag den 20. Februar 2022 in Berlin verstorben. Nach einer zunächst gut verlaufenen Darmoperation erlag er heute deren Folgen im Krankenhaus Havelhöhe in Berlin-Kladow.

Christian Herwartz wurde am 16. April 1943 in Stralsund geboren. Die Familie wechselte wegen der beruflichen Tätigkeit des Vaters – er war Kapitän der Bundesmarine – öfters den Wohnort. Sein Berufsleben – zunächst begann er mit einem Maschinenbaupraktikum auf einer Werft in Kiel. Dort wechselte er in die Bundeswehr und machte die Ausbildung zum Reserveoffizier. 1969 holte er das Abitur im Collegium Marianum in Neuss nach und trat in die Gesellschaft Jesu ein.

Nach dem Noviziat studierte Christian Herwartz Philosophie in Pullach und München, dann bis 1975 Theologie in Frankfurt Sankt Georgen. In dieser Zeit ließ er sich auch nachträglich als Wehrdienstverweigerer anerkennen. Es folgte eine Ausbildung in der Metallverarbeitung in Frankreich, mit Tätigkeiten in Toulouse, Straßburg und Paris. Dort lernte er die Ideen der Arbeiterpriesterbewegung kennen. Insbesondere das Mitgehen von Arbeiterpriestern in die deutsche Kriegsgefangenschaft beeindruckte ihn. 1976 wurde er zum Priester geweiht. 1978 begann er als Dreher und Lagerarbeiter in Berlin und schloss sich dem Kreis der „Arbeitergeschwister“ an. Zunächst wohnte er mit dem 1980 zu früh verstorbenen Michael Walzer SJ in einem Arbeiterwohnheim und einer Ausländerunterkunft, ab Mai 1979 in einer eigenen Wohnung in der Naunynstraße in Kreuzberg, zu der auch bald dauerhaft Franz Keller SJ hinzustieß. Menschen in unterschiedlichsten Notlagen waren in der Wohngemeinschaft willkommen. Christian schlief in einem Zimmer mit acht und mehr Betten. Oft wussten er und seine Mitbewohner morgens nicht, wer abends in dem Zimmer liegen würde. Seine Solidarität mit ausgegrenzten Menschen wurde immer existentieller. Er besuchte Gefangene, solidarisierte sich mit rassistisch diskriminierten Kollegen, nahm Menschen auf der Flucht und ohne Papiere auf und scheute sich dabei nicht, Grenzen des Legalen zu überschreiten. „Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.“ (Mk 2,27) Seine Bereitschaft und Fähigkeit, Konflikte anzusprechen und zu provozieren – im Sinne des prophetischen „Herausrufens“ – machten ihn bekannt und in bürgerlichen Kreisen auch gelegentlich gefürchtet. Politisches Engagement und Frömmigkeit waren für Christian Herwartz untrennbar verbunden. Im Gast, der an seiner Wohnungstür klopfte, sah er nicht nur die hilfsbedürftige, schutzsuchende Person, sondern auch die potentielle Gastgeberin oder den potentiellen Gastgeber, der wie einst jener Wanderer auf dem Weg nach Emmaus seinen Gastgebern Kleopas und Maria in deren Haus das Brot brach (vgl. Lk 24,30).

Im Jahre 2000 wurde Christian Herwartz im Rahmen einer Maßnahme seiner Firma in den vorzeitigen Ruhestand entlassen. Zeitgleich meldeten sich Personen bei ihm, die in der Wohngemeinschaft Naunynstraße mit wohnen wollten, um sich von ihm bei Exerzitien begleiten zu lassen. Christian Herwartz ließ sich darauf ein. Er begann, Exerzitanten mit ihrer eigenen Sehnsucht im Herzen auf der Straße als dem Ort der Betrachtung zu begleiten, um sich dort von dem Ruf ansprechen zu lassen, der ergeht, so wie einst Mose auf dem Weg „über die Steppe hinaus“ (Ex 3,1) zufällig-plötzlich auf einen brennenden Dornbusch stieß und sich dort rufen ließ. Aus den ersten Erfahrungen von Begleitung entwickelten sich die „Exerzitien auf der Straße“. Sie wurden mit den Jahren immer mehr zu einer landes- und schließlich weltweiten Frömmigkeitsbewegung, die über die Grenzen der konfessionellen, aber auch der sozialen und bildungsmäßigen Unterschiede hinaus sehr vielen Menschen das Evangelium neu und lebensnah erschloss.

Im April 2016 verabschiedete sich Christian Herwartz aus Kreuzberg, da die fortschreitende Parkinsonerkrankung ihn an physische Grenzen führte. Er zog in das Canisius-Kolleg um, behielt aber Kontakt mit der Wohngemeinschaft und den Exerzitien auf der Straße. Ab März 2020 wechselte er aufgrund der Corona-Pandemie in das ordenseigene Seniorenheim nach Berlin-Kladow, um wegen des hohen Gefährdungsrisikos besser geschützt zu sein. Seine Kräfte ließen unter dem Druck der Parkinson-Erkrankung immer mehr nach. Bis zum letzten Tag blieb er mit vielen Freundinnen und Freunden in Verbindung. Sein plötzlicher Tod erschüttert nun viele Menschen. Sein Vermächtnis wird neben den Publikationen, die bereits schon vorliegen, noch weiter zu entdecken und zu würdigen sein.

 Klaus Mertes SJ